Das Ende des Callcenters und die Zukunft des Kundenservice
Kundenservice-Anfragen sind seit Ende Februar raketenartig in die Höhe geschossen. Vor diesem Hintergrund ist die Zeit reif, über Lösungen für die Mängel des traditionellen Callcenters nachzudenken.
lchamberlain
Juni 29, 2020
Ein Anruf bei einem Kunden-Callcenter ist wahrscheinlich für niemanden ein Vergnügen. Nicht umsonst hört man bei geselligen Abendessen (wer erinnert sich noch an eine Zeit, in der man gemeinsam mit Freunden zu Abend essen konnte?) immer wieder Horrorgeschichten von miserablen Callcenter-Erfahrungen: angefangen beim endlosen Drücken von Wahltasten, bis man endlich verbunden wird, bis hin zu Mitarbeitern, die sich den Versuchen eines Kunden widersetzen, einen Service zu kündigen, oder die gewünschte Hilfe bezüglich eines Produkts zu verweigern scheinen. Kurz gesagt: Callcenter sind nicht gerade für ihre hervorragenden Kundenerlebnisse bekannt.
Die in den Worten von Salon „unfreiwillig komische" Dynamik, die bei Callcenter-Gesprächen „aus dem Grund so schnell zustande kommt, dass zwei völlig fremde Menschen aufeinandertreffen, wovon der eine akribisch die von einer gesichtslosen Unternehmensführung vorgeschriebenen Verfahren befolgen muss, während der andere seinem Gegenüber nur wenig Geduld entgegenbringt", ist inzwischen ein virales Phänomen. In der Tat versuchen im Rahmen eines Callcenter-Gesprächs in der Regel zwei unterschiedliche Parteien, unter für beide Seiten ungünstigen Bedingungen und angesichts von Spielregeln, die sich der Kontrolle der beiden Seiten entziehen, ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen. Und nicht nur das: Allein der Betrieb eines Callcenters ist eine wahnsinnig kostspielige Angelegenheit.
Erschien all dies zuvor vielleicht noch lustig, dürfte die Situation im Zeitalter des Coronavirus wohl niemanden mehr zum Lachen bringen, insbesondere da immer mehr Verbraucher sich mit ihren Fragen über Kanäle an Marken wenden, die in keiner Weise dafür geeignet sind, Anfragen in der derzeitigen Größenordnung zu bearbeiten. Wenn man nun nach stundenlangem Warten endlich mit einem Callcenter-Mitarbeiter verbunden wird (häufig nach mehreren erfolglosen Anrufversuchen), bricht man wohl eher in erleichtertes Schluchzen als in Gelächter aus. Um die Washington Post zu zitieren: „Die Pandemie hat einen perfekten Sturm von Kundenservice-Problemen verursacht. Unternehmen und Regierungsbehörden tun sich schwer damit, mit den Veränderungen Schritt zu halten und gleichzeitig ihre Mitarbeiter zu schützen, während Kunden sich schwer damit tun, einen kühlen Kopf zu bewahren."
Kundenserviceanfragen sind seit Ende Februar raketenartig in die Höhe geschossen, da unzählige Verbraucher versuchen, die Zahlung von Rechnungen aufzuschieben, ihr Geld für stornierte Reisen zurückzufordern, Arbeitslosenunterstützung zu erhalten, sich nach den Möglichkeiten von Lebensmittel- und Essenslieferdiensten zu erkundigen und sich über den Status bestehender Investitionen zu informieren. Einem Bericht von Zendesk zufolge sind Kundenserviceanfragen bei Lebensmittelgeschäften seit Ende Februar um mindestens 133 %, bei Telearbeits- und Fernunterrichtsunternehmen um 85 % und bei Lebensmittel-Lieferservices um 33 % gestiegen, wobei Unternehmen aller Art einen sprunghaften Anstieg des Ticket-Volumens […] und einen im Vergleich zum Vorjahr 24-prozentigen Anstieg der im Durchschnitt von globalen Kundenservice-Teams bearbeiteten Anfragen verzeichnen. Mit anderen Worten: Das Callcenter-System steht kurz vor seiner Belastungsgrenze.
Nein, „Belastungsgrenze" ist keineswegs übertrieben ausgedrückt: Diese Zunahme an Kundenserviceanfragen hat zu einem Anstieg der gemeldeten Wartezeiten (34 % und steigend) und der Anrufeskalationen (68 %) geführt, was nicht nur einer optimalen Kundenservicequalität im Wege steht, sondern auch mit erheblichen Kosten einhergeht. Aus Frust über diese langen Wartezeiten wenden sich Verbraucher zunehmend an Marken-Websites und andere Kundenservice-Kanäle wie die websiteinterne Suche, FAQ-Rubriken und Live-Chat-Funktionen, um Antworten auf ihre Fragen zu erhalten – doch nicht jedes Unternehmen ist effektiv vorbereitet, um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten (dazu später mehr).
„Callcenter sind häufig ein technologisches Überbleibsel und nicht wenige Anbieter vertrauten bisher auf traditionelle, vor Ort installierte geschäftliche Systeme anstatt auf mobile, cloudbasierte Dienste", schreibt das Wall Street Journal. Die Folge: „Die größten Unternehmen Amerikas sind zurzeit bemüht, ihre Kundenservice-Systeme, die nicht für Situationen wie Pandemien gewappnet sind, in denen Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten müssen, über den Haufen zu werfen und zu überdenken."
Donna Fluss, Präsidentin des Marktforschungsunternehmens für Kontaktcenter DMG Consulting LLC, berichtete gegenüber Vox: „Die COVID-19-Krise bringt eine Reihe von Herausforderungen mit sich, auf die kaum ein Unternehmen vorbereitet war. Wenn sich eine Naturkatastrophe ereignet, verlagern Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit in eine andere Region der USA oder vertrauen auf Outsourcer im Ausland." Inmitten einer globalen Epidemie kommt eine solche Lösung selbstverständlich nicht in Frage. Und selbst wenn in Zukunft die aktuellen Einschränkungen gelockert werden und Mitarbeiter nach und nach ins Büro zurückkehren, müssen Kunden-Callcenter fortan in der Lage sein, den Bedarf an potentiell umfangreichen und kostspieligen Neukonfigurationen von Arbeitsumgebungen und -bedingungen zu berücksichtigen.
Für etliche der Unternehmen, die zurzeit mit Anrufen überflutet werden, spielen sich diese Herausforderungen vor dem Hintergrund sinkender Verkaufszahlen und zunehmender Budgetkürzungen ab. Der Druck auf Callcenter war noch nie größer als heute – und er enthüllt die strukturellen und strategischen Mängel, die Callcenter in ihrer Funktion als erste Anlaufstelle für Kundenserviceanfragen schon immer aufgewiesen haben.
Das Ende des Callcenters und der Siegeszug der websiteinternen Suche
Vor diesem Hintergrund ist die Zeit reif, über moderne Lösungen für die Mängel des traditionellen Callcenters nachzudenken. Es leuchtet ein, dass viele Unternehmen (und nicht nur übermütige junge Start-ups) im Moment die Effizienz und Nachhaltigkeit des Callcenters hinterfragen. Davon abgesehen, dass ihre Callcenter überlastet sind, sehen sich unzählige Unternehmen infolge der Pandemie mit einem Rückgang ihrer Verkaufszahlen konfrontiert – während die durchschnittlichen Kosten für einen Kundenservice-Anruf nach wie vor bei rund 5 USD liegen.
Laut CNBC „setzen immer mehr Unternehmen in dieser Zeit, in der die Coronavirus-Pandemie Callcenter weltweit unter zunehmenden Druck setzt, auf digitale Kommunikationssoftware" – eine Entwicklung, die Rob Locascio, CEO des auf KI-Software für Conversational Commerce spezialisierten Unternehmens LivePerson, bereits früh erkannt hat. In einemGespräch mit Jim Cramer, Moderator der Sendung Mad Money, prophezeite Locascio, dass COVID-19 das „Ende des Callcenters" bedeuten würde. Schätzungen seines Unternehmens zufolge soll dies noch innerhalb des nächsten Jahrzehnts der Fall sein.
Ob sich diese Prognose bewahrheiten wird, bleibt abzuwarten. Was sich jedoch nicht leugnen lässt, ist die Tatsache, dass eine bessere Verfügbarkeit und Qualität von Online-Self-Services eine bedeutende Kundenservice-Kluft schließt. Wie in einer Schlagzeile von MIT Technology Review zu lesen ist: „Die Pandemie bewirkt leere Callcenter. KI-Chatbots schreiten ein." Verbraucher haben mehr Fragen als je zuvor und suchen bereits heute auf Unternehmenswebsites nach passenden Antworten. Unternehmen müssen in der Lage sein, diesem Umstand Rechnung zu tragen.
Seit Februar haben sich Website-Besuche von Kunden, die Informationen über Unternehmen suchen, im Durchschnitt um 65 % erhöht, in manchen Branchen sogar um bis zu 376 %, wie aus dem Bericht von Zendesk hervorgeht.. In einigen Fällen hat das Traffic-Volumen für Self-Service-Quellen wie Hilfecenter und Website-FAQs sogar den Anstieg der Kundenserviceanfragen in diesem Zeitraum übertroffen. Auch unsere eigenen Untersuchungen haben Ähnliches ergeben: Kunden von Yext Answers berichten einen 88-prozentigen Zuwachs in Hinblick auf Fragen/Suchen zwischen Februar und April 2020. Dies spiegelt den Anstieg der Online-Fragen wider, die von Verbrauchern über Suchmaschinen sowie über Marken-Websites gestellt werden.
Unternehmen, die nicht in der Lage sind, einfach und präzise offizielle Antworten auf solche Fragen zu liefern, riskieren schlimmstenfalls, treue Kunden zu verlieren: 68 % aller befragten Verbraucher geben an, dass sie nicht zu einer Website mit einer schlechten Sucherfahrung zurückkehren würden. Und nicht nur das: 62 % aller Verbraucher wechseln nach einem negativen Kundenerlebnis zu einer anderen Marke oder beschließen, nicht bei dem betreffenden Unternehmen einzukaufen. Wenn Einnahmequellen auf dem Spiel stehen und Budgets kurzerhand gekürzt werden, ist das Klügste, was Sie für Ihre Marke tun können, ein erstklassiges Kundenerlebnisses durch eine flexible, reaktionsfähige, skalierbare und aufwandsarme Lösung zu schaffen.
Angesichts der andauernden Rezession lassen alle diese Punkte darauf schließen, dass so manche kostspielige Dienstleistungen – darunter auch Callcenter – mit Wahrscheinlichkeit auf der Strecke bleiben werden. Zwar werden sie möglicherweise nicht ganz verschwinden, zumindest nicht, solange Verbraucher das Bedürfnis verspüren, mit einer menschlichen Person zu interagieren. Die Zukunft des Kundenservice wird jedoch darin bestehen, Kunden Online-Angebote bereitzustellen, die sofortige Antworten auf Fragen liefern undmit niedrigeren Betriebskosten einhergehen.
Insofern ist jetzt der perfekte Zeitpunkt für Ihre Marke, um in kostensparende Such-Tools zu investieren, die Kunden helfen, genau die Antworten, die sie sich wünschen, online zu finden, ohne stundenlang in einer Callcenter-Warteschleife festzustecken.